Drum prüfe, wer sich (ewig) bindet… – Was VR dazu beitragen kann, die “richtigen Leute am richtigen Platz” zu haben
“The War on Talent is raging on!”
Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeigen in letzter Zeit vor allem Eines: Arbeitnehmende sitzen meist am längeren Hebel. Während sich die Employer Branding Abteilungen vieler Unternehmen Innovationen einfallen lassen müssen, um ständig neue Talente zu finden, ergibt sich inzwischen eine andere, folgenschwere Herausforderung in Unternehmen: Retention. So gaben beispielsweise 20% der Befragten in der aktuellen Global Workforce Hopes and Fears Survey von PwC an, extrem oder zumindest sehr wahrscheinlich innerhalb der nächsten 12 Monate einen Arbeitsplatzwechsel vornehmen zu wollen (2022).
Neue Talente zu finden ist somit das Eine – sie langfristig und gewinnbringend an das Unternehmen zu binden, etwas ganz anderes. Und das liegt nicht (nur) daran, dass Arbeitgebende im Arbeitsalltag nicht mehr das halten können, was sie zu Beginn versprochen haben; vielmehr zeigt sich oft erst nach mehreren Wochen oder gar Monaten, wie die ehemaligen Bewerbenden mit der vorherrschenden Kultur sowie den gelebten Werten zusammen passen. Aber was heißt das eigentlich – und welche Rolle kann unser Virtual Reality Personality Assessment Tool in der Feststellung dieser Passung spielen?
Die Krux mit der Passung
Passung bedeutet in ihrer Quintessenz, “das richtige X am richtigen Y zu sein” (oder zu haben). Dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip heißt, auf unser Beispiel umgelegt, ganz konkret: Die richtigen Mitarbeitenden (X) sollten im richtigen Unternehmen, in der richtigen Kultur und auf der richtigen Position (Y) sein bzw. eben damit zusammenpassen. Was “richtig” ist, hängt dabei von den jeweiligen Werten und Persönlichkeitseigenschaften der Beteiligten ab. Was ist bereits da, was braucht es noch, um sich – als Unternehmen oder Team – in die gewünschte Richtung zu entwickeln?
Einige Werte wie Mut und Transparenz können außerdem für alle Mitarbeitenden eines Unternehmens relevant sein, während bestimmte Persönlichkeitseigenschaften wie Extraversion oder (besonders stark ausgeprägte) Ordentlichkeit nur für bestimmte Funktionen oder Positionen wichtig sind.
Das bedeutet aber nicht, dass jedes Unternehmen für seine Marketing-Abteilung zwanzig Mal eine:n kreative:n, extrovertierte:n, detailorientierte:n und konfliktvermeidende:n Bewerbende:n sucht. Anders gesagt: “Passung” bedeutet nicht “mangelnde Diversität”. Im Gegenteil, jedes Team besteht aus einer bestimmten Konstellation von unterschiedlichen Individuen, die spezifische Teamrollen erfüllen (Belbin, 2014) und gemeinsam zur Zielerreichung des Unternehmens beitragen.
Dazu gehört es auch, dass einzelne Teammitglieder mit gewissen Entscheidungen nicht konform gehen und den Status Quo regelmäßig infrage stellen (sogenannte “Mavericks”). Kritische Blicke leisten nämlich meist einen wertvollen Beitrag – zumindest theoretisch. Denn in der Praxis werden Mavericks oft als Störenfriede wahrgenommen. Das kann unterschiedliche Ursachen haben, beispielsweise die mangelnde Vorbereitung eines bestehenden Teams auf den kritischen Neuzugang. Hier können Führungskräfte wesentliche Arbeit leisten, indem sie das Team dabei unterstützen, einen fruchtbaren Boden für zielorientierte Gespräche zu kreieren.
Und damit wären wir dann wieder bei der Passung; denn nur, wo die Grundsätze und Rahmenbedingungen klar sind und von allen geteilt werden, wo “eine Tanzfläche definiert ist”, kann auch diskutiert, entwickelt – und eben getanzt werden.
“Unternehmenskultur ist die Gesamtheit der gemeinsamen Werte, Normen, Einstellungen und grundlegenden Annahmen einer Organisation. Sie manifestiert sich im Verhalten der Organisationsmitglieder und dem Erscheinungsbild der Organisation.”(Schein, 1985)
Warum ist Passung wichtig?
In Unternehmen, in denen Individuen ihr Selbst erfolgreich einbringen können, weil es gewünscht ist – eben weil sie zur Kultur passen -, sind Arbeitnehmende langfristig zufriedener und produktiver (Nzuva & Kimanzi, 2022; Owoyemi & Ekwoaba, 2014). Abgesehen von den offensichtlichen Vorzügen solcher Arbeitnehmenden für das Unternehmen ergibt sich außerdem noch ein auf den ersten Blick etwas weniger sichtbarer: Menschen machen Kultur aus, indem sie sie durch ihr Selbst gestalten und somit wiederum andere Menschen beeinflussen.
Die vielfältigen kulturellen Wechselwirkungen an einem Arbeitsplatz existieren unabhängig davon, ob die Beteiligten sich ihrer bewusst sind. Für eine Steuerung eben dieser Wirkungen zum Wohle des Unternehmens und der Mitarbeitenden ist es jedoch notwendig, sie sich bewusst zu machen, um passende Strategien und Maßnahmen erarbeiten zu können.
Wie lässt sich Passung bestimmen?
Um die Passung zweier Komponenten zueinander zu bestimmen, müssen diese unabhängig voneinander klar definiert werden. Eine Möglichkeit für diese Definition stellen Assessments dar. Abhängig von dem zugrundeliegenden Modell und der angewandten Methode können diese Assessments unterschiedliche, berufsrelevante Bereiche (Intelligenz, spezifische fachliche Fähigkeiten und Wissen usw.) erfassen.
Viel verwendete und bekannte Assessments wie etwa das BIP (Hoosiep & Paschen, 2019) bestehen beispielsweise aus einem wissenschaftlich validierten Fragebogen. Fragebögen können als Selbst- und Fremdeinschätzung vorliegen, wobei sie in Kombination – wie z.B. bei einem 360° Feedback – ein besonders umfassendes Bild des Individuums zeichnen. Dieses Bild dient als Grundlage für die Bestimmung der Passung – welche wiederum von mehreren Faktoren abhängig ist (z.B. wozu soll eine Passung bestehen?).
Fragebögen bergen jedoch einen potentiellen Nachteil; sie sind in der Regel relativ durchschaubar und können damit sozial erwünschtes Antwortverhalten auslösen. Anders ausgedrückt: Wer würde bei einer Bewerbung auf eine Stelle im Graphic Design nicht angeben, hochgradig kreativ zu sein?
Es gibt nur eine richtige Antwort… Oder etwa nicht?
Der Vorteil unseres Tools VRPA im Gegensatz zu herkömmlichen Paper-Pencil-Methoden (Fragebögen) liegt in seinem immersiven Gamification-Charakter, der Teilnehmende vergessen lässt, dass sie gerade beobachtet oder gar “getestet” werden. Durch die Erfassung des Verhaltens in einer immersiven Umgebung lassen sich sozial erwünschte Antworten, die unter Umständen ein verzerrtes Bild von Bewerbenden und Mitarbeitenden zeichnen könnten, minimieren. Selbsteinschätzungen der eigenen Kreativität oder Freundlichkeit sind somit nicht notwendig – die Experience vermittelt daher auch nicht den Eindruck der “einen richtigen Antwort.”
Entlang eines Handlungsstranges, der auf Basis des psychologisch validierten HEXACO-Modells (Ashton & Lee, 2007) entwickelt wurde, treffen Teilnehmende innerhalb der VR-Experience einfache Entscheidungen und interagieren mit fiktiven Kolleg:innen. Dabei werden berufsrelevante Verhaltensweisen erfasst, die Rückschlüsse auf zugrundeliegende Persönlichkeitseigenschaften ermöglichen. Jeder getätigte Schritt innerhalb VRPAs trägt zur Erstellung eines Persönlichkeitsprofils bei, welches aus insgesamt vier Persönlichkeits-Skalen besteht – also vier unterschiedlichen Bereichen der Persönlichkeit. Dazu zählen in unserem Fall beispielsweise Teamwork und Kompromissbereitschaft.
Wofür kann VRPA eingesetzt werden?
Unser Tool eignet sich sowohl für die Digitalisierung und Bereicherung des Recruiting-Prozesses, als auch für die Nutzung im Zuge der Mitarbeitendenentwicklung. Somit kann VRPA einerseits beim Einstieg in ein neues Unternehmen bzw. Team unterstützen – oder aber einen wertvollen Beitrag zur Mitarbeitendenentwicklung liefern, indem Persönlichkeitseigenschaften und Werte sichtbar und damit zu einem möglichen Diskussionsgegenstand gemacht werden.
VRPA im Recruiting
Im Rückmeldegespräch der VR-Experience wird gemeinsam mit Recruiter:innen und Hiring Manager:innen eruiert, inwiefern sich die Bewerbenden mit den Ergebnissen identifizieren können – und wie eben diese Persönlichkeitseigenschaften sie in ihrem Berufsalltag begleiten. Die Ergebnisse der Experience sind nicht als “standalone” oder Knock-Out-Kriterium (im Bewerbungsprozess) zu verstehen. Vielmehr bieten sie eine solide Grundlage für das folgende Gespräch – mit Bewerbenden oder bestehenden Mitarbeitenden.VRPA liefert dabei einen spielerischen Einstieg und zudem eine einmalige Erfahrung, in der Bewerbende außerhalb des gewöhnlichen Assessment-Rahmens in eine andere, virtuelle Welt eintauchen können. Recruiter:innen und Hiring Manager:innen können ihrerseits auf Basis ihrer Erfahrung sowie Unternehmens- und Teamkenntnis evaluieren, inwiefern die gezeigten Persönlichkeitseigenschaften eine wertvolle Ergänzung für das bestehende Team darstellen.
VRPA in der Mitarbeitendenentwicklung
Im Zuge der Mitarbeitendenentwicklung verhält es sich im Prinzip ähnlich; das Rückmeldegespräch gibt tiefere Einblicke in die Persönlichkeit und Wachstumsbedürfnisse der Mitarbeitenden. Dabei wird einerseits diskutiert, inwiefern sich Mitarbeitende mit dem von VRPA erfassten Ist-Zustand identifizieren. Andererseits wird Schritt für Schritt erarbeitet, wohin sich Mitarbeitende entwickeln möchten und wie dies am besten innerhalb des Teams und des Unternehmens funktionieren kann. Ein wichtiger Punkt hierbei ist wiederum die Passung: Müssen sich nämlich einzelne Mitarbeitende langfristig verstellen, um “dazu zu gehören” und erfolgreich zu sein, gilt es, diesen (gesundheitsbeeinträchtigenden) Missstand aufzuklären. Mit einem Assessment als Start kann gemeinsam erörtert werden, warum das Verstellen notwendig erscheint – und was sich verändern muss, damit die betroffenen Personen endlich “sie selbst” sein können. Im Fokus dabei steht die (spielerische) Auseinandersetzung mit sich selbst für die Mitarbeitenden.
Alles in allem sollte es Unternehmen in ihrem eigenen Sinne darum gehen, in die Diskussion zum Thema Passung zu starten: Wie passen wir als Unternehmen mit den Bewerbenden zusammen? Oder: Wie können wir unseren Mitarbeitenden am effektivsten dabei helfen, sich selbst weiterzuentwickeln? Das Ziel, “die richtigen Leute am richtigen Platz” zu haben, verschafft nämlich nicht nur einen klaren Wettbewerbsvorteil; es trägt auch maßgeblich zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden bei. Somit ist die Passung essentiell, um Unternehmen für Arbeitnehmende zu einem (er)lebenswerten Arbeitsplatz zu machen.