Indexierung des Corona-Kinderbonus im September 2020 unionsrechtswidrig?
Im September 2020 wurde für jedes Kind, für das Familienbeihilfe bezogen wird, ein zusätzlicher Bonus in Höhe von 360 Euro ausgezahlt. Dieser Corona-Kinderbonus ist nach Ansicht der Regierung genauso indexiert wie die Familienbeihilfe. Damit könnte der Kinderbonus ebenfalls EU-rechtswidrig sein, weil derzeit hinsichtlich der Indexierung der Familienbeihilfe bereits ein Verfahren gegen Österreich läuft.
Indexierung der Familienleistungen
Familienleistungen sind in Österreich seit 1. Jänner 2019 „indexiert“, das bedeutet, dass die Höhe der Auszahlungen von den statistischen Lebenshaltungskosten jenes Landes abhängen, in dem die Kinder ständig leben. Die entsprechende Regelung findet sich in § 8a FLAG. Steuerpflichtigen, denen auf Grund des FLAG Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 € für jedes Kind zu. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist – wie auch der steuermindernde Familienbonus Plus von monatlich bis zu 125,00 € – seit 1. Jänner 2019 ebenfalls indexiert und dadurch an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten der Kinder gebunden.
Indexierung der Familienleistungen mit geltendem EU-Recht (nicht) vereinbar?
Die Indexierung der Familienbeihilfe wurde in der Literatur bereits im Vorfeld stark kritisiert und als unionsrechtswidrig eingestuft (siehe dazu etwa Leidenmühler, ÖGfE Policy Brief 05’2018). Derzeit ist beim EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich anhängig. Das BFG hat erst kürzlich dem EuGH dieselbe Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss BFG vom 16.04.2020, RE/7100001/2020; beim EuGH anhängig unter C-163/20). Fraglich ist daher, ob auch die indexierte Auszahlung des Corona-Kinderbonus im September 2020 unionsrechtswidrig ist.
Rechtliche Grundlagen
Die EU-VO 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sieht in Artikel 67 vor, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Der zuständige Mitgliedstaat ist in der Regel jener Staat, in dem eine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung ausgeübt wird (Artikel 11 ff der VO 883/2004). Allerdings enthält Artikel 68 Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen in mehreren Mitgliedstaaten. Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge bei Ansprüchen,
- die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden durch den „Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird,“ und subsidiär ggf die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung.
- die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.
Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach den obigen Ausführungen Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.
Corona-Kinderbonus: Gesetzliche Änderung des FLAG durch das BGBl. I Nr. 71/2020
In § 8 FLAG wurde folgender Absatz angefügt: „Die Familienbeihilfe erhöht sich für den September 2020 um eine Einmalzahlung von 360 € für jedes Kind. Der Aufwand für die Auszahlung dieser Einmalzahlung im September 2020 ist aus Mitteln des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds zu tragen.“ In diesem Zusammenhang bleibt abzuwarten, wie der EuGH die Indexierung der Familienleistungen beurteilt. Die Bezieher der Familienbeihilfe sind allerdings gut beraten, gegen die Indexierung der Einmalzahlung beim BFG sofort Beschwerde einzulegen und eine Vorlage an den EuGH anzuregen. Damit kann im Falle einer positiven Entscheidung, der langwierige Weg der Nachforderung verkürzt werden. PwC unterstützt gerne bei der Durchsetzung der erhöhten Familienbeihilfenansprüche.
Anhang:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wurde folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Sind Artikel 18 und Artikel 45 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, Artikel 4, Artikel 5 Buchstabe b, Artikel 7 und Artikel 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie Artikel 60 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass Familienleistungen für ein Kind, das sich nicht tatsächlich ständig in dem diese Familienleistungen zahlenden Mitgliedstaat, sondern tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäische Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für den jeweiligen Staat im Verhältnis zu dem die Familienleistungen zahlenden Mitgliedstaat anzupassen sind?“
Autor: Benedikt Hörtenhuber